Der Islam und sein Frauenbild werden sehr gerne als Aufhänger von einseitigen Artikeln in den Medien und in politischen Debatten verwendet. Gemeinsam haben diese, dass sie zum Großteil von Nicht-Musliminnen verfasst werden bzw. die Meinungen dieser so gut wie nicht zum Tragen kommen. Informationen über die wirklichen Lebenswelten von Musliminnen werden auf diese Weise kaum thematisiert. Deshalb beschlossen Musliminnen aus Deutschland und Österreich dies zu ändern und ein Buch zu verfassen, um ihre Sicht der Dinge zu schildern. Das Ergebnis ist eine Sammlung von unterschiedlichen Texten mit dem Titel „Mehr Kopf als Tuch“. In elf Kapiteln schreiben die Autorinnen über ihre unterschiedlichen Blickwinkel zum Thema. Bei der Länge und Auswahl des Themas hatten sie freie Hand, um der Vielfalt der Meinungen Raum zu geben. So entstanden Beiträge zu Themen wie Heimat, Integration, Feminismus und Spiritualität.
Im Rahmen eines Themenschwerpunktes von Frauen und Religion fand am 22. März 2018 eine Präsentation des Buches „Mehr Kopf als Tuch“ am Afro-Asiatischen Institut in Salzburg statt. Zu Gast war die Herausgeberin Amani Abuzahra und eine der Co-Autorinnen, Haliemah Mocevic. Frau Abuzahra beschäftigte sich im Kapitel mit dem Titel „Mein anderes Europa“ damit, wie irritierend es für viele Menschen ist, wenn sie selbst Europa und die europäische Gesellschaft kritisiert nicht aber ihre vermeintlich „eigene“ muslimische Kultur. Für sie ist die Trennlinie zwischen ‚Wir‘ und den ‚Anderen‘ nicht verständlich, denn auch sie sieht sich als Europäerin. Als solche ist es für sie selbstverständlich, Kritik an Europa zu äußern, da Selbstkritik meist ehrlicher und zielführender ist, um die notwendige Weiterentwicklung der Gesellschaft voranbringen zu können.
Frau Mocevic befasste sich im Kapitel ‚Einzigartig vielfältig‘ unter anderem mit der Oberflächlichkeit, mit der ihr oft gegenüber getreten wird. Menschen nehmen sie nur als Kopftuchträgerin wahr, nicht aber als Mensch und stecken sie sofort in die dafür passende Schublade. Weicht das Bild der muslimischen Frau von der vermeintlichen Realität ab, was in den meisten Fällen der Fall ist, kommt es zu Missverständnissen und oftmals zu diskriminierendem Verhalten. Die Autorin kritisiert dieses voreilige Schubladendenken und wünscht sich, dass Menschen offener aufeinander zugehen, um das Gemeinschaftsgefühl der Gesellschaft zu stärken und Ausgrenzungstendenzen keine Chance zu geben.
Die Autorinnen wollen durch die Verbreitung ihrer Ansichten und Erfahrungen Vorurteile auflösen. Diese sollten stattdessen mit tatsächlichen Lebensgeschichten und Erfahrungsberichten von Musliminnen ausgetauscht werden. So wird ein gesellschaftlicher Dialog angeregt und Probleme können gesellschaftlich und politisch gelöst werden oder entstehen erst gar nicht.
Zu einem solchen Dialog kam es auch nach der Präsentation des Buches. Vor allem Themen wie interkultureller Austausch und der Umgang mit kritischen bzw. diskriminierenden Aussagen gegenüber der Religion bzw. dem Kopftuch standen im Mittelpunkt.
Die Autorinnen forderten ein offenes Ohr für Musliminnen und die Schaffung von sicheren Räumen, um sensibel und ohne Anfeindungen mit diesem Thema umgehen zu können. Zu diesem Zweck ist Solidarität von Frauen untereinander, unabhängig von Religion oder anderen Faktoren, ausschlaggebend. Nur eine vielfältige solidarische Gemeinschaft kann Benachteiligung nachhaltig verhindern.
Auch die Widmung des Buches ist in die Zukunft gerichtet: “Für eine neue Generation“. Das ausgewählte Zitat von Jean-Paul Sartre aus Saint Genet zu Beginn des Buches erscheint auf den ersten Blick wie ein hervorragend gewählter Ratschlag an diese neue Generation: „Es kommt nicht darauf an, was man aus uns gemacht hat, sondern darauf, was wir aus dem machen, was man aus uns gemacht hat“. Auf den zweiten Blick allerdings auch als ein perfekter Ratschlag für alle bisherigen Generationen.
Vielen Dank an alle Anwesenden der Buchpräsentation. Ein ganz besonderer Dank gebührt Amani Abuzahra, Haliemah Mocevic sowie der Moderatorin des Abends, Bouchra Ikherrazene.
Bericht verfasst von Theresa Sperl, Praktikantin am Afro-Asiatischen Institut Salzburg