
Vergangenes Jahr im September wurde mit dem nach wie vor nicht eindeutig aufgeklärten Tod der Kurdin Jina Mahsa Amini und den darauffolgenden Aufmärschen der iranischen Bevölkerung die Welt wieder an die in der Islamischen Republik Iran herrschenden Missstände erinnert. Zunächst ließ die Reaktion auf die Proteste seitens der Regierung auf sich warten. Die später angekündigte Überprüfung der Kleidervorschriften wirkte entgegenkommend, doch letzten Endes wurden die Proteste wieder mit harten Mitteln niedergeschlagen.
Was die Iraner*innen auf die Barrikaden gehen lässt
Jina Mahsa Amini wurde wegen eines nicht ordnungsgemäß umgelegten Kopftuches festgenommen. Die Gründe für die erneut ausbrechende Quelle an Enttäuschung, Unzufriedenheit und Frust der iranischen Bevölkerung sind allerdings weitaus zahlreicher als aufgezwungene Kleidervorschriften. Eine Auflistung der größeren Protestbewegungen lässt zudem erkennen, dass die Iraner*innen in immer kürzeren Abständen auf die Straßen gehen. 1999: wegen Schließungen journalistischer Publikationen, 2009: Unzufriedenheit über die Wahl Ahmadinejads zum Präsidenten, 2017 / 2018: ökonomische Probleme des Landes, die einige innerhalb der Bevölkerung in finanziell prekäre Lagen brachten, 2019: Widerruf angekündigter Gassubventionen, Anfang 2022: nicht länger subventionierte Preise der Grundversorgung im Südwesten Irans.
Aus welchen Gesellschaftsgruppen sich die Protestierenden zusammensetzen
Wie die Gründe für die Proteste sind auch die an ihnen teilnehmenden Gruppen gemischt. Wegen des Dauerphänomens der ökonomisch schwierigen Lage streiken beispielsweise Fabriksarbeiter*innen verschiedener Gewerbebereiche. Große Streiks in der Ölindustrie könnten auch an dem Regime nicht spurlos vorbeigehen.
Daneben leben im Südwesten des Landes die Minderheiten der Araber*innen und Bachtiari in schon lange andauernden, diskriminierenden Verhältnissen. So werden sie etwa bei Entwicklungsbemühungen der Republik außen vorgelassen, worüber sie ihren Missmut ebenso in Form von Demonstrationen äußern.
Wo die jüngsten Proteste auch nach den gewaltsamen Niederschlagungen seitens des Regimes nicht so schnell versiegten, war (im sonst hauptsächlich schiitischen Iran) in den überwiegend sunnitischen Teilen des Landes Belutschistan, Südosten Irans, und den kurdischen Gebieten im Nordwesten Irans.
Insgesamt ist es ein hoher Prozentsatz an jungen Menschen, die protestieren. Bei einem derzeitigen Altersdurchschnitt der Bevölkerung von ca. 33 Jahren vielleicht auch keine große Überraschung. Insbesondere diese geben trotz der gewaltsamen Antworten des Regimes auf die Aufstände nicht so schnell klein bei.
Aminis Tod hat letzten Endes jedoch in der gesamten iranischen Bevölkerung einen gemeinsamen Nerv getroffen. Aus diesem Grund haben selbst bislang eher zurückhaltende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ihre Unterstützung der Demonstrationen ausgesprochen – Sportler*innen, Schauspieler*innen und andere aus den Medien bekannte Gesichter. Darüber hinaus zeigten sich einige ehemalige höhere Beamte solidarisch mit der Protestbewegung.
Formen des Aktivismus innerhalb Iran
Direkt nach dem Tod Jina Mahsa Aminis füllten die Iraner*innen die Straßen zahlreicher Städte und Dörfer. Sowohl als friedlich vermerkte wie auch gewaltvolle Protestaktionen fanden statt. Dabei wurden Forderungen nach Änderungen in diversen Bereichen gerufen und Parolen gegen ausgewählte Regierungsmitglieder, das gesamte Regime beziehungsweise militärische Streitkräfte wie die Iranische Revolutionsgarde (Persisch: „Sepāh-e Pāsdārān-e Enqelāb-e Eslāmī“, „Armee der Wächter der islamischen Revolution“) waren zu hören. Als das Regime anfing, Märsche in der Öffentlichkeit niederzuschlagen, kam die wohl aufsehenerregendste Variante von Protest somit großteils zum Erliegen. Worüber in den Medien auch außerhalb des Nahen und Mittleren Ostens noch weiterverbreitet berichtet wurde, waren die in Verbindung zu den Protesten stehenden ersten Verurteilungen zur Hinrichtung und deren Vollstreckung. Statistiken der HRANA (Human Rights Activists News Agency) zufolge, seien bis zum 03. Jänner 2023 mindestens 19.200 Personen festgenommen worden und 516 Protestierende zu Tode gekommen.
Von da an erhielt man eher den Eindruck, als sei eine weitere iranische Aufstandsbewegung kläglich zum Stillstand gekommen. Doch die iranische Bevölkerung protestierte auf eine für das internationale Auge deutlich subtilere Weise weiter. Auf Hauswände werden gegen das Regime gerichtete Sprüche gesprüht und abends erschallen weiterhin Protestparolen von den Balkons und Dächern der Wohnhäuser. In den Gefängnissen treten Inhaftierte in den Hungerstreik oder greifen zu noch radikaleren Mitteln wie der Selbstverbrennung.
Die Bedeutung des Internets für die Proteste

Eine offiziell die Widerstände leitende Figur gibt es nicht, doch auf Telegramm und anderen Social Media Plattformen kommen Gruppen zusammen, die ihre Aktionen auf Universitätscampus und an anderen Orten teilen. Graffiti, Streiks, verbale und physische Auseinandersetzungen mit Lehrpersonal, Ordnungshüter*innen und Zivilist*innen werden mit dem Handy gefilmt, fotografiert und gepostet. Das Internet wird daher des Öfteren für ein paar Tage oder auch über längere Zeit lahmgelegt. Das Ziel: die Vernetzung untereinander und mit der Welt sowie die Verbreitung sogenannten bürgerjournalistischen Materials einzudämmen. Der Bürgerjournalismus spielt in Ländern wie Iran, wo die Medienlandschaft eine stark zensurierte ist, eine bedeutende Rolle. Trotz der zahlreichen Interneteinschränkungen, die nach Möglichkeit mit VPN oder Proxys umgangen werden, können Online-Kampagnen etwas bewirken. Im Juli 2020 schafften es zum Beispiel die mehr als 4.5 Millionen Tweets mit dem Hashtag اعدام_نكنيد# (Persisch: „edām nakonīd“, „Exekutiert nicht“) zumindest, die Hinrichtung dreier junger Protestierender zu verhindern.
Solidarität im Ausland
Auch außerhalb Irans gingen Leute auf die Straße. Immer wieder stellt sich die Frage, was Proteste vor allem auf nicht-iranischem Boden bewirken können. Sie machen Probleme sichtbar und sorgen bei kontinuierlichem Auftreten in der Öffentlichkeit dafür, dass sie auch nicht wieder in Vergessenheit geraten. Doch riskieren selbst im Ausland lebende Iraner*innen dabei Einiges. Etwa in Iran wohnhafte Familienmitglieder in Gefahr zu bringen. Trotz all dem oder vielleicht auch gerade wegen all dem rufen namhafte, aktivistisch tätige Iraner*innen wie etwa Masih Alinejad und viele weitere immer wieder dazu auf, sich hinter die iranische Bevölkerung zu stellen.
Was wir tun können
Zunächst lässt Hinsehen den Ernst der Lage nicht in den Hintergrund rücken. Einer der Gastredner der Veranstaltung „Iran im Aufbruch: Global Space zum Weltfrauentag“, Amin Rezaie (Student der Rechtswissenschaft, Universität Wien und Menschenrechtsaktivist), hat gemeinsam mit anderen T-Shirts, Pullovers und Taschen bedruckt (sh. Instagrampost oben). Damit sollen auch jene (wieder) darauf aufmerksam gemacht werden, die etwa in einem Umfeld ohne Bezug zu der Thematik leben.
Darüber hinaus muss man jedoch auch wissen, wie die derzeitige Situation in Iran ist. Von einer weiteren Gastrednerin der zuvor genannten Veranstaltung, Feryal Honarmand (Absolventin der Globalgeschichte, Universität Salzburg), wurden die Beiträge der SN-Redakteurin Dorina Pascher über Iran hervorgehoben. Neben den österreichischen Medien sei auch auf Nachrichtenagenturen wie The Guardian, al-Jazeera oder die bereits zuvor genannte Human Rights Activists News Agency (HRANA) hingewiesen. Letztere befasst sich ausschließlich mit den Menschenrechten in Iran und den Verletzungen eben dieser.
Ausgehend davon kann man sich in weiterer Folge im Bereich des Aktivismus oder auch der Bildungsarbeit dafür einsetzen, ein Zeichen zu setzen. So etwa bei den Veranstaltern des oben genannten Vortrags- und Diskussionsabends „Iran im Aufbruch: Global Space zum Weltfrauentag“ am 08. März 2023 – Afro-Asiatisches Institut Salzburg / Graz, Friedensbüro Salzburg, AntiRa Salzburg, Plattform für Menschenrechte Salzburg. Eines ist sicher: solange die Forderungen nach grundlegenden Menschenrechten wie der Sicherheit und Freiheit in Iran nicht erfüllt sind, werden die Iraner*innen weiter dafür kämpfen und je mehr internationales Interesse daran besteht, dass sie dieses Ziel erreichen, desto schwieriger wird es, eben das zu verhindern.