Gastbeitrag von Dr. Andreas Schmoller

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Univ.-Prof. Dr. Aho Shemunkasho, Ao. Univ. Prof. Dr. Helga Embacher und Dr. Andreas Schmoller diskudierten am 23. November 2017 im Afro-Asiatischen Institut Salzburg über den Bürgerkrieg in Syrien.

Der Konflikt in Syrien dauert nun bereits nahezu sieben Jahre. Während es in der ersten Phase von vielen Seiten als höchst problematisch wahrgenommen wurde, wenn BeobachterInnen die konfessionelle Dimension des Konflikt zu erörtern versuchten, ist seit 2014 der Bürgerkrieg immer stärker als Religionskrieg verstanden worden. Diese Pendelbewegung von einem Ignorieren der konfessionsspezifischen Dynamik im Konflikt hin zu einer Überbetonung von Religion als Konfliktfaktor zeigt, dass Kriege immer auch von Deutungskriegen begleitet sind.

Wie erklärt man den Syrien-Krieg? In der Podiumsdiskussion im AAI haben wir GesprächsteilnehmerInnen versucht, den Konflikt als semi-konfessionell (semi-sectarian) zu charakterisieren und verständlich zu machen. Der britische Syrien-Experte Christopher Philips hat die Argumente dafür in einem viel gelesenen Artikel Sectarianism and conflict in Syria dargelegt.

Zentral dabei ist, dass die politischen Identitäten in Syrien komplex sind. Sie sind zwar nicht nur konfessionell geprägt (auch unter den Minderheiten gibt es soziale und ideologische Unterschiede), aber sie sind auch nicht völlig frei von konfessionellen Trennlinien. Dies ist nicht erst so, seitdem in Syrien die Macht in Händen der Assad-Familie liegt, die der alawitischen Minderheit mit einem Bevölkerungsanteil von rund 10% in Syrien angehört.

Konfessionelle Trennlinien reichen in frühere Epochen zurück. Die Minderheitenfrage war zentral für die Mandatspolitik der europäischen Mächte und hat nach Einschätzung mancher das Minderheitenbewusstsein erst geschaffen.

Doch auch zuvor im osmanischen Reich war das Bewusstsein für religiöse Differenz durch die Dhimmi-Regelungen und innerislamische Konfliktlinien klar vorhanden und Teil der Politik. Die friedlichen Proteste zu Beginn des Konflikts fanden Unterstützung aus allen religiösen Gruppierungen. Die geografische Verteilung der Protestaktivitäten zeigt jedoch interessante Detailergebnisse. Häufig waren konfessionelle Grenzen in Siedlungsgebiete auch die Grenze von Protestkundgebungen. Dies hing letztlich von den Erwartungen ab, die sich die jeweiligen Gruppen von einem eventuellen Sturz des Assad-Regimes im eskalierenden Konflikt machten. Diese Erwartungen waren vielfach von Befürchtungen über ein ungewisses wenn nicht katastrophales Danach geprägt. Bestärkt wurden die Befürchtungen vom Regime, das sich als Beschützer der Minderheiten ausgab und vor einem islamistischen Machtwechsel warnte.

Die sektiererische Dynamik des Konflikts vor allem seit 2013 ist nicht aus einem »alten Hass», der in essenzialisierenden Erklärungsmustern beschworen wird, zu erklären. Vielmehr handelt es sich um eine Kombination von historisch tradierten Vorbehalten und jüngeren Konflikten, die aus dem Unvermögen des Regimes entstanden, die ökonomischen und sozialen Probleme des Landes in den Griff zu bekommen. Die demografische Entwicklung des Landes mit einer Bevölkerungsverdoppelung alle 20 Jahre, trockenheitsbedingte Ernteausfälle und eine verfehlte Liberalisierungspolitik Bashar al-Asads sind entscheidende nicht-konfessionelle Faktoren des Bürgerkriegs.

Schließlich bleibt festzuhalten, dass die Realität von Gewalt und Krieg es mit sich bringt, dass Menschen auf ihre unmittelbaren Netzwerke zurückgreifen, um Hilfe, Sicherheit und Unterstützung zu organisieren. Communities entlang konfessioneller Grenzen sind in der Region nicht nur Glaubensgemeinschaften, sondern Teil einer sozialen, ökonomischen, kulturellen, politischen und oft auch geografischen Struktur. Aus diesem Ineinander von konfessionell und nicht-konfessionell bedingter Zusammengehörigkeit beziehen Communities ihre starke Bindekraft. Dies zeigt sich bis in die Organisation von Milizen und Selbstverteidigungseinheiten hinein. Von außen betrachtet ist zudem der Syrienkonflikt mit seinen lokalen und regionalen Teilkonflikten dermaßen kompliziert, dass schnell der Überblick verloren geht. Jeder scheint gegen jeden zu kämpfen, so dass am Ende der Faktor Religion als Verantwortlicher für alles Übel nur allzu gern als Erklärung angenommen wird.

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