Wie kommt es, dass wir die Welt negativer sehen als sie eigentlich ist? Die Frage hallt in meinem Kopf nach. Mittlerweile ist unser Weg in einen weiten Strand gemündet, der sich bis zum Horizont erstreckt. Vicky lächelt verständnisvoll: “Es ist sehr wahrscheinlich, dass du die Welt verstehst, indem du persönliche Erfahrungen generalisierst, was weit von einem objektiven Blick entfernt ist. Dazu kommt, dass die Medien oft nur ‘berichtenswerte’ Nachrichten zeigen. Dir muss klar sein, dass alles was gezeigt wird ein Ausschnitt ist. Ein kleines Puzzle Teil. Weil es spannender ist, werden die unüblichen Dinge den normalen (aber viel öfter vorkommenden) Vorkommnissen vorgezogen. Der Fokus liegt auf schnellen Veränderungen. Dabei sind es oft die langsamen Veränderungen, die ein positives Bild abzeichnen. Aber es ist nicht allein die Schuld der Medien, dass wir Menschen oft ein so negatives Weltbild haben. Da steckt mehr dahinter.

Lasst uns dafür ein Beispiel aus der Psychologie anschauen”, fährt Vicky fort. Sie zeichnet zwei Pfeile in den Sand und wendet sich uns zu: “Welcher der beiden ist länger?”

“Der untere!”, kommt als Antwort zurück. Daraufhin gibt Vicky Anweisungen, die beiden Pfeile abzumessen. Et voilà: Die Wahrheit ist, beide Pfeile sind gleich lang! “Dieses Phänomen nennt man die Müller – Lyer – Illusion. Aber das spannende kommt erst noch: Ändert dieses Wissen (Pfeile sind gleich lang) irgendetwas daran, dass ihr die beiden Pfeile als unterschiedlich lang wahrnehmt? Nein?” Kopfschütteln auf Seiten der Gruppe.

“Genau so könnt ihr euch vorstellen, dass unser Gehirn im overdramatic worldview arbeitet. Du weißt jetzt, dass sich die Armut in den letzten 20 Jahren in etwa halbiert hat, aber trotzdem wird dein Gehirn bei nächster Gelegenheit ein Ereignis nehmen und zum Rückschluss kommen, dass die Armut weltweit immer zuzunehmen scheint.”

Vicky geht in die Hocke. “Schaut mal her!”, sie holt ein Sieb aus ihrer Tasche und fährt damit durch den Sand. “Dieses Sieb ist euer Gehirn, euer Aufmerksamkeitsfilter. Es gibt jeden Tag eine Unmenge an Informationen und unser Gehirn tut gut daran auszusortieren, denn sonst wäre es einfach zu viel. Aber es ist nun mal so, dass unser Gehirn eine kleine Dramaqueen ist, denn es sucht aus einem großen Pool die dramatischsten Ereignisse aus, denen es Aufmerksamkeit schenkt. Die kleinen Sandkörner sind also Situationen in denen im Grunde alles rund läuft.” Die Sandkörner rieseln durch das Sieb durch und fallen zurück auf den Strand. Ein paar der Gröberen bleiben allerdings im Sieb hängen. “Die größeren Steinchen, die sind das Dramafutter und die bleiben hängen! Aber vergesst nicht, das sind einzelne Situationen und erinnert euch daran “, sie deutet auf den Haufen Sandkörner am Boden, “dass sie insgesamt keine gute Repräsentation darstellen.”

“Die Wahrheit ist”, fährt Vicky fort, “dass beinahe jede messbare und aussagekräftige Statistik ein ähnliches Bild zeichnet: Eine stetige Verbesserung.

Ich denke mir: Cool, ist das jetzt mein Freipass für ein sorgloses Leben? Ich dachte es stehe ziemlich schlecht um die Welt, aber jetzt wurde ich eines besseren belehrt. What a day to be alive!

Doch da bremst mich Vicky in meinen Gedanken schon aus. “Aber bevor ihr alle feiern geht lohnt es sich einen Blick auf die Gründe zu werfen, wie wir überhaupt dazu kommen, die Welt schlechter wahrzunehmen als sie eigentlich ist. Und, surprise, es gibt durchaus Dinge, die ziemlich daneben laufen. Wissen allein reicht nicht aus, um zu einem factbased worldview zu gelangen. Unser Gehirn arbeitet oft automatisch im Verborgenen – deshalb lont es sich, Licht ins Dunkle zu bringen.”

“Factbased Worldview?” wiederholt jemand aus der Gruppe fragend.

Hier gehts zum vorherigen Teil und nachfolgenden Teil (ab 07.02.22 online) der Geschichte.

Quellen:

Rosling H, Rosling O, Rosling Rönnlund A. Factfulness: Ten Reasons We’re Wrong about the World ‐ and Why Things are Better than You Think. London, UK: Hodder Stoughton; 2018.

„Ich sehe die Welt nicht wie sie ist, sondern wie ich bin“ Zitat von Haliemah

Titelbild: von Kranich17 auf Pixabay

Kommentar verfassen