Ich muss immer noch daran denken, was Vicky uns ganz am Anfang unserer Reise erzählt hat. ‘80 % aller Menschen haben Zugang zu Elektrizität’. Ich überschlage im Kopf die Zahlen.
“Aber 20% sind immer noch 1.58 Milliarden Menschen!” platze ich heraus.
“Woah, wovon redest du?”, fragt Vicky erstaunt. Ich erkläre hastig: “Du meintest vorhin 80 % aller Menschen haben Zugang zu Elektrizität. Wir alle haben weniger getippt, klar. Da erscheint 80% erst mal wie ein rießen Erfolg! Aber es ist so leicht bei Prozentangaben die Bedeutung dahinter zu vergessen. 80% mit- bedeutet auch 20% ohne Strom! Und 20% von 7.9 Milliarden Menschen sind immer noch 1.58 Milliarden Menschen. 1.58 Milliarden ohne Zugang zu Elektrizität. Das sind 177 mal soviele Menschen wie Einwohner*innen Österreichs! Oder 19 mal Deutschlands! Oder 4.8 mal der USA!”
„Ahhh verstehe! Das fällt dir aber früh ein”, sie sieht mich gespielt vorwurfsvoll an. “Auch Wissen braucht Zeit zum Verdauen”, erwidere ich scherzhaft.
“Auch wieder wahr! So gesehen gibt es immer noch viele Menschen ohne Möglichkeit Strom zu beziehen. Und was du gemacht hast, kritisch zu hinterfragen, ist eine gute Heransgehensweise im Umgang mit Statistiken. Zahlen repräsentieren immer irgendetwas. Es ist wichtig, dass nicht aus den Augen zu verlieren. Um zu verstehen was die Zahlen aussagen muss man sie wieder herunterbrechen. Dabei ist es auch immer sinnvoll Zahlen ins Verhältnis zu setzen. “
Daraufhin verfällt sie kurz in Schweigen und fährt fort: “Wenn ich euch beispielsweise sage ‘2016 sind 4.2 Millionen Säuglinge gestorben’ erscheint die Welt furchtbar. 4.2 Millionen! Das ist eine große Zahl. Wenn ich euch dann aber sage, dass 1950 noch 14.4 Millionen Säuglinge gestorben sind, dann verstehst du wie sich die Welt entwickelt hat.2 Große Zahlen sehen immer groß aus, eine einzige Zahl mag eindrucksvoll erscheinen (groß oder klein), aber diese Zahl ohne Zusammenhang zu betrachten kann leicht in die Irre führen. Wichtig ist, Zahlen ins Verhältnis zu setzen.”
“Ja, aber kann es nicht sein, dass einfach weniger Kinder geboren wurden? Dann würde ein Rückgang der Kindstode nicht automatisch eine Verbesserung bedeuten!”
“Stimmt!”, erwidert Vicky, “und damit kommen wir zu einem weiteren Tipp: Dividiere Zahlen! Lasst uns also die Kindstode pro Jahr durch die Geburtenrate pro Jahr teilen, um eine akkuratere Abbildung zu bekommen.
Für 1950 (14.4 Millionen Kindstode; 97 Millionen Geburten) erhalten wir 15%. Das bedeutet noch vor 71 Jahren sind von 100 Babys 15 vor ihrem ersten Geburtstag gestorben.
Für 2016 (4.2 Millionen Kindstode; 141 Millionen Geburten) erhalten wir 3%! Von 100 geborenen Babys sind 2016 drei gestorben. Daher haben wir es mit einem Rückgang von 15% auf 3% zu tun!
“Ehrlich gesagt finde ich es ein bisschen makaber sich darüber zu freuen, dass ‘nur noch’ 4 Millionen Babys sterben. Freuen würde ich mich wenn da 0 stehen würde!”, kritisiert ein Gruppenmitglied.
“Hmm ja damit sind wir genau bei dem Punkt von vorhin. 1.58 Milliarden Menschen ohne Strom ist verbesserungswürdig. 4 Millionen Kindstode auch. In einer perfekten Welt würden keine Säuglinge sterben und jeder hätte Zugang zu Elektrizität! In unserer momentanen Welt aber ist es entscheidend, Leid und Unglück in Kontext zu setzen, um Fortschritte anzuerkennen.”
Hier gehts zum vorherigen Teil und zum letzten Teil (ab 21.03.22 online) der Geschichte.
Quellen
Rosling H, Rosling O, Rosling Rönnlund A. Factfulness: Ten Reasons We’re Wrong about the World ‐ and Why Things are Better than You Think. London, UK: Hodder Stoughton; 2018.
The Size Instinct
Beitragsbild: Von Vietnguyenbui auf pixaby